Objekt-Abbild


So wie der Betrachter einer Fotoausstellung in den Fotos eingefangene und aufbewahrter Momente einer sich im ständigen Wandel befindenden Wirklichkeit sieht, wollen wir musikalisch dem Problem des offenen musikalischen Flusses und dem Festhalten von Momenten aus diesem, nachgehen. Dem Abbilden von Augenblicken der Wirklichkeit durch Fotografien entspräche das Aufnehmen und Wiedergeben von musikalischen Momenten. Indem wir musikalische Momente in ihrer zeitlichen Begrenzung ausdehnen, wahrnehmbar machen und ihnen einen eindeutigen musikalischen Charakter geben, werden sie gleichsam zu wieder erkennbaren "Objekten".
In zwei Musikstücken wollen wir diese beiden Ebenen; die eine Ebene der aus der Offenheit des Jetzt sich entwickelten Improvisation und die andere, in der musikalische Momente durch die technischen Möglichkeiten der Aufnahme zu reproduzierbaren Objekten mit eindeutigen, feststehenden Eigenschaften werden, einander gegenüberstellen und sich durchdringen lassen.
Gleich den Fotografien, die in uns Fragen nach den Beziehungen von Bild und Abbild aufwerfen, werden diese Beziehungen mit musikalischen Strukturen untersucht.
Auch die Musiker selbst werden sich in ein Wechselspiel von Bild und Abbild hineinbegeben. Die räumlichen Möglichkeiten nutzend, treten sie aus dem Raum der klingenden Wirklichkeit heraus in den der angrenzenden gläsernen Fahrstühle.
Schließen sich die Türen, dann nimmt man die Musik, gleich den Fotos hinter Glas, auch wie gedämpfte Abbilder wahr. Doch im Gegensatz zu den Rahmen, hinter denen wir die Fotografien betrachten, können sich die gläsernen Türen auch jederzeit wieder öffnen und den Weg in das klingende Hier und Jetzt wieder freigeben.

Karoline Schulz


16. Juni 2006
Konzert zur Eröffnung der Ausstellung "Mensch! Photographien aus Dresdner Sammlungen"
Kupferstich-Kabinett, Dresden
Neue Dresdner Kammermusik